Mittwoch, 15. Februar 2012

Bürger Journal/Deutschlandhalle und Berliner Sportpalast futsch "Krückes" Sportpalastwalzer aber bleibt! - 09. Februar 2012

Bürger Journal
Deutsch-Zeit



Berlin, lieben oder lassen, gleichgültig, nee! von Jürgen Deutsch


Deutschlandhalle und Berliner Sportpalast futsch
„Krückes“ Sportpalastwalzer aber bleibt!

Reinhold Habisch, genannt Krücke, ist das Letzte Berliner Original


Deutsch-Zeit auf den Punkt aus Berlin von Jürgen Deutsch

„Krücke“ wurde 1911 mit seinen auf zwei Fingern gepfiffenen Pfeifverzierungen zum Walzer „Wiener Praterleben“ (Komponist, Translateur) für alle Ewigkeit zum Berliner Sixday Original. Noch heute ist der Sportpalastwalzer die Erkennungsmelodie für 6-Tagerennen, weltweit. „Krückes“ Sportpalastwalzer ist untrennbar mit ihm ver-
bunden. Geboren am 08. Januar 1889 wuchs er in einer Mietskaserne am Straußberger Platz, einem proletarischen Berliner Bezirk, Friedrichshain, auf. Ganz in der Nähe be-
gegnete Alfred Döblin, seine Milieu-Typen und erführ von ihren tragischen Geschichten für seinen Welt-Roman „Berlin-Alexanderplatz“.
Bis 1905 träumte Reinhold davon ein großer Radrenn-Pedaleur zu werden. Sein Traum endete jäh, mit dem Sturz auf regennasser Fahrbahn und wurde dabei von einer heran- nahenden Straßenbahn überfahren. Seine übergroße Begeisterung zum Radsport und sein mit Sarkasmus gepaarter Berliner Jargon, mit „Herz und Schnauze“, halfen ihm, seine Behinderung, zeitweise zu überwinden. Der 16jährige Reinhold hatte auch nichts gegen seinen baldigen Spitznamen „Krücke“. Als Radsportler vor dem „Nudeltop“ in Treptow (eine fast kreisrunde Radrennbahn, mit supersteilen Kurven) seine Unterarm-
krücke in einem Baum versteckten und Reinhold nach seinem lauten, empörten Brüllen: „Meene Krücke, jebt ma meene Krücke wieda!“ von diesem Moment an, seinen Spitz-
namen „Krücke“ weghatte.
Ende der 1950ziger und Anfang der 60ziger Jahre gingen im damaligen West-Berlin, mit dem Sixday-Veranstalter, Hans Preiskat – pro Winterbahnsaison – zwei 6-Tage-
rennen an den Start. Zum Saisonbeginn des Rundenkarussells in der 1957 wiederaufge-
bauten – 16000 Zuschauer fassenden – Deutschlandhalle und am Ende des 6-Tage Renn-
kalenders im ehrwürdigen Berliner Sportpalast, in Schöneberg, Potsdamer Straße 72/73
mit seinem damaligen Straßenstrich. In der Toreinfahrt ist heute eine Gedenktafel der Traditionsarena zu bestaunen. In seinem gesponserten „Wurzelpeter“ Trikot (Kräuter-
likör) war „Krücke“ – gemeinsam mit den 6-Tage Pedaleuren – in beiden Sportarenen
der Publikumsliebling. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die billigen Stehplätze auf dem „Heuboden“, über der Steilkurve, im Berliner Sportpalast. Hier amüsierte und verfolgte das radsportbegeisterte Milieu das Renngeschehen. Die Sportbegeisterung schlug höher wenn während der 6-Tage, Siegermannschaften, nach der 1-Stundenjagd, Bierkästen für den „Heuboden“ spendierten.
Im Sommer 1958 begegnete ich „Krücke“ das Erstemal im Vereinslokal der Kreuz-
berger Rvg. von 1889, in der Pücklerstraße 33 (Eisenbahn Markthalle), in dem ich als
14jähriger Radrennfahrer, Mitglied war. „Krücke“ gehörte vor dem Zweiten Weltkrieg
der Renngemeinschaft Rennhahn an, die sich in der westlich – vom Kottbusser Tor aus – gelegenen Reichenberger Straße befand und nach dem Krieg der Kreuzberger Rvg.
beitrat.
1961 gewannen die Kreuzberger Jugendfahrer – so bezeichnete man die damaligen unter 18jährigen Radrennfahrer – Wiemer, Deutsch, Poltrock und Gehrmann, die 50 Km „Vierer Mannschaft Straßen Jugend-Meisterschaft“, auf der Straße des 17. Juni, vor dem stark fahrenden Gegner „Zugvogel“. „Krücke“, in seinem Sponsorentrikot
„Wurzelpeter“ gekleidet, am Ernst-Reuter-Haus stehend, gratulierte uns, vor dem im Hintergrund parkenden – mit Werbung „Kölner Schmelzflocken“ beschriftet – VW-Vereinsbus, als Erster. Was wir als 18jährige alle ganz toll fanden.

Das 53. Berliner 6-Tagerennen (1964) erlebte „Krücke“ nicht mehr. Bis zu seinem Ab-
leben wohnte er in SO36, der Kreuzberger, Lobeckstraße 82.

Berlin verlor mit „Krücke“ eines seiner letzten Originale. „Pump ma mal Deen Kopp, ick will meene Schwiejamutter een Schreck injaren“, det war „Krücke“ wie er leib- und lebte.

Jürgen Deutsch

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